Junior-Partner als sozialversicherungspflichtig Beschäftigter

24.04.2017

Das Landessozialgericht Baden-Württemberg hat mit einem aktuellen Urteil und einer überzeugenden Begründung die Tätigkeit einer „Junior–Partnerin“ in einer Zahnarztpraxis als sozialversicherungspflichtige Beschäftigung bewertet. Unerheblich war, dass die gemeinsame Berufsausübung (im Urteilsfall Zahnärzte) vom Zulassungsausschuss formell als Gemeinschaftspraxis genehmigt worden war. Die rechtlichen Einordnungen des Vertragsarztrechts wie des ärztlichen Berufsrechts sind für die sozialversicherungsrechtliche Statusbeurteilung nicht bindend.

Der zugrunde liegende Sachverhalt stellt sich wie folgt dar:

Ein Zahnarzt und eine Zahnärztin, beide zur vertragszahnärztlichen Versorgung zugelassen, schlossen sich als Gemeinschaftspraxis zusammen, was auch vom Zulassungsausschuss genehmigt wurde.

Der Gesellschaftsvertrag enthielt unter anderem folgende Regelungen:

Die Zahnärztin sollte als „Gewinnanteil“ 30 % der von ihr selbst erwirtschafteten Honorare erhalten. Aus den verbleibenden Einnahmen wurden die Praxiskosten bezahlt. Den Rest erhielt der Zahnarzt.

Der Zahnarzt stellte auch das gesamte, im Vertrag als Sonderbetriebsvermögen ausgewiesene, materielle Vermögen zur Verfügung.

Die Zahnärztin musste keine Einlage leisten. Sie war nicht am materiellen Vermögen oder an den Kosten der Beschaffung zukünftigen materiellen Vermögens beteiligt.

Wer von den Vertragsparteien – und in welchem Umfang – einen Verlust zu tragen hätte, war vertraglich nicht geregelt. 

Beide Gesellschafter waren einzeln vertretungsberechtigt. Im Innenverhältnis aber bedurften wirtschaftlich bedeutsamere Maßnahmen (wie z. B. die Kündigung von Arbeitsverhältnissen) der Zustimmung des Zahnarztes.

Im Fall ihres Ausscheidens sollte die Zahnärztin eine pauschalierte Abfindung, gestuft nach der Dauer ihrer Tätigkeit und abhängig von dem von ihr durchschnittlich erwirtschafteten Jahresumsatz, erhalten.

Bei einer routinemäßigen Betriebsprüfung forderte die Deutsche Rentenversicherung Bund den Zahnarzt auf, offene Sozialversicherungsbeiträge in beträchtlicher Höhe nachzuentrichten. Die Klage des Zahnarztes blieb sowohl in erster Instanz (SG Freiburg) als auch in zweiter Instanz (LSG Baden-Württemberg) erfolglos. Revision ist nicht zugelassen.

Das Gericht urteilte:

Nach Auffassung des Gerichts war die Zahnärztin nicht freiberuflich tätig, sondern sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Die Richter stützten ihre Entscheidung auf verschiedene, sich in der Summe ergänzende Gesichtspunkte. Diese waren das Ergebnis der vom Gericht überzeugend herausgearbeiteten, für die Statusbeurteilung der Zahnärztin notwendigen Gesamtschau des vertraglich Festgelegten und des im Alltag der Kooperation tatsächlich Praktizierten.

Maßgebend ist und bleibt stets das Gesamtbild der zu beurteilenden Arbeitsleistung auf der Grundlage einer wertenden Zuordnung aller Umstände im Sinne einer Gesamtabwägung.

Folgende Umstände des konkreten Falls waren maßgeblich:

Der Zahnarzt stellte über sein Sonderbetriebsvermögen der Praxis die Praxiseinrichtung allein und ohne Kostenbeteiligung der Zahnärztin zur Verfügung.

Die Zahnärztin trug weder ein Kapitalrisiko noch ein wirklich unternehmerisches Risiko. Sie war nicht am Verlust und auch nicht am Gewinn der Gesellschaft beteiligt. Ihre Einkünfte stammten allein aus dem selbst erwirtschafteten Umsatz.

Gegenüber der KZV bzw. Privatpatienten rechnete allein und ausschließlich der Zahnarzt ab.

Hinzu kamen die im Innenverhältnis stark beschränkte Vertretungsbefugnis und einige Sonderrechte für den Seniorpartner. So war z. B. nur der Zahnarzt befugt, bei über sechswöchiger Erkrankung der Zahnärztin zulasten deren Gewinnanteils einen Vertreter einzustellen.

Die für eine Freiberuflichkeit sprechenden Indizien (nicht weisungsgebundene Tätigkeit, keine Haftungsfreistellung der Zahnärztin im Innenverhältnis) hielt das Gericht für irrelevant. Dasselbe galt für die Genehmigung der Gemeinschaftspraxis durch den Zulassungsausschuss.

Folgen des Urteils:

Die Entscheidung reiht sich in den vom Bundessozialgericht abgesteckten Rahmen ein. Schon 2010 hatte das Bundessozialgericht klare Abgrenzungskriterien zur Differenzierung zwischen einem verdeckten Anstellungsverhältnis (Scheinselbstständigkeit) und der freiberuflichen Tätigkeit eines Vertragsarztes „in freier Praxis“ definiert.

Zur Auslegung des Merkmals „in freier Praxis“ ist zum einen darauf abzustellen, dass der Arztberuf durch ein hohes Maß an eigener Verantwortung und an eigenem wirtschaftlichen Risiko charakterisiert ist. 

Zum anderen trägt das Berufsbild (der freiberuflich Tätigen) im Ganzen einen unternehmerischen „Zug“, der auf Selbstverantwortung, individueller Unabhängigkeit und eigenem wirtschaftlichem Risiko gegründet ist. Zur Tätigkeit „in freier Praxis“ gehört letztlich mehr als das Gesetz an Mindestanforderungen für eine Gesellschafterstellung im Rahmen einer GbR als erforderlich definiert.

Für die Vertragsgestaltung bedeutet dies:

Jeder Gesellschafter muss das unternehmerische Risiko mittragen: Das zu erzielende Einkommen muss vom Erfolg oder Misserfolg der gesamten Praxis abhängen. Bei ungünstiger Entwicklung muss für jeden Gesellschafter das Risiko bestehen, für seine Arbeit kein oder nur wenig Einkommen zu erzielen bzw. eintretende Verluste mit eigenem Kapital ausgleichen zu müssen.

Jeder Gesellschafter muss am Gewinn und Verlust beteiligt sein, nicht nur am Umsatz. Berechnet sich der Gewinnanteil eines Gesellschafters unabhängig von den Kosten, so ist dies gerade kein Gewinnanteil.

Jeder Gesellschafter sollte mit einem gewissen Kapitaleinsatz an der Gesellschaft (auch am immateriellen Vermögen – „Goodwill“) beteiligt sein.

Die Regelungen u. a. zur Vertretung und auch zum Urlaub sollten möglichst paritätisch ausgestaltet sein.

Auch in einer job-sharing-BAG, die naturgemäß ein Gesellschaftsverhältnis auf Probe darstellt und in der der „Junior-Partner“ über keine eigene Zulassung verfügt, müssen diese Grundsätze beachtet werden.

Ist ein Gesellschafter einer Gemeinschaftspraxis als scheinselbstständig anzusehen, müssen an die jeweiligen Rentenversicherungsträger nicht nur rückwirkend bis zu vier Jahre an Sozialabgaben nachgezahlt werden. Es drohen auch Honorarrückforderungen der K(Z)V, von der drohenden Gewerbesteuerpflicht ganz zu schweigen.

 

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